Recital in Stuttgart

2005-09-06 / Stuttgarter Nachrichten / Helmuth Fiedler

Sonnendurchflutet

Angela Hewitt im Weißen Saal.

»Gemüths Ergötzung« im Untertitel der 30 »Veränderungen« über eine schlichte Aria in G Dur (präziser: ihren Bass) ist ein fast zu harmloses Wort für den Erweckungsprozess, den Angela Hewitt im Weißen Saal des Neuen Schlosses dem reichen Universum von Bachs Goldberg Variationen angedei¬hen ließ. Exakt 76 Minuten lang hörten glückliche Kartenbesitzer einer Darbietung zu, die sich völlig uneitel aus dem Aria-Thema heraus entwickelte. Angela Hewitt artikulierte es empfindsam, ohne Übernuancierung, den Klavier Bass etwas zögerlich nachziehend, und demonstrierte in der Folge vor allem in den Variationen 5, 14, 20, 23 und 26 pianistische Souveränität.

Obendrein deutete die Kanadierin die Spannung zwischen den einzelnen Charak¬terstücken und der archaisch konzisen Großform, zwischen improvisatorischem Schwung und Kanonstrenge erhellend aus. Herausgestellt wurde auch die Zukunftsperspektive des Stücks – als blicke Beethoven durch die Doppeltriller (Variation 28), Franz Liszt durch die wuchtigen Akkordwechsel der 29. Variation. Unvergesslich der Moment, wenn nach dem abschließenden, fast derb den Volksliedton aufgreifenden Quodlibet die einleitende Aria wiederkehrt. Von ihr aus sind alle Fäden durch das sich verdichtende Variationen Labyrinth gezogen worden. Jubel im sonnendurchfluteten Weißen Saal.