Recital in Stuttgart

2005-09-06 / Esslinger Zeitung / Dietholf Zerweck

Die Pianistin Angela Hewitt gilt seit Jahren als eine der hervorragendsten Bach-Interpretinnen. Jetzt war sie erneut beim Europäischen Musikfest in Stuttgart zu Gast, und man wünschte sich sehr, dieser eminenten Künstlerin auch einmal in der Reihe Meisterpianisten” zu begegnen. Hewitt überzeugt mit der durch Intelligenz und Emotion geprägten Klarheit ihres Klavierspiels: Ihre Interpretation von Bachs “Goldberg-Variationen” im Weißen Saal des Neuen Schlosses war ein umjubelter Höhepunkt des Musikfests.

Wärmere Resonanz

Die kanadische Pianistin spielte Bachs “Aria mit verschiedenen Veränderungen” auf ihrem Fazioli. Dass sich damit völlig andere akustische Verhältnisse ergaben als eine Woche zuvor bei Martin Stadtfelds lärmender Auseinandersetzung mit dem “Wohltemperierten Klavier” auf einem Steinway, lag freilich zum geringeren Teil am Instrument. Angela Hewitt pflegte die wärmere Resonanz des klanglichen Volumens, und erst im “Quodlibet” der 30. Variation ging sie an die dynamischen Grenzen. Mit einem unglaublichen Reichtum an Anschlagsnuancen gestaltete sie die Farbigkeit und polyphone Linearität der einzelnen Variationen. Jedes Stück hatte seinen sorgfältig und intuitiv erfassten Charakter.

Dabei wirkten auch die pianistisch anspruchsvollsten Variationen mit ihren übergreifenden Händen und artistischen Doppeltrillern so mühelos wie kunstvoll. Das Klavierfeuerwerk der 14. Variation, direkt vor den introspektiven Kanon “alla Quinta” platziert, brachte ebenso natürliche Spannung ins Spiel wie die rotierenden Terzenskalen der 23. Variation, der zweistimmige Kanon “all’Ottava” und die tiefgründige Adagio-Variation mit ihrer kühnen Chromatik.

Verdichtung des Ausdrucks

Hier erreichte Hewitts Interpretation eine höchste Verdichtung des Ausdrucks und der inneren Spannung, die sich danach in strömende Bewegung und hüpfende Sechzehnteltriolen auflöste.

Was Angela Hewitts Aufführung der “Goldberg-Variationen” so faszinierend macht, ist die leuchtende Transparenz, mit der sie die musikalischen Abläufe für die Zuhörer verdeutlicht. Obwohl Bach in diesem Werk mehr die harmonischen Verhältnisse als die empfindsame Melodie der am Anfang und Schluss erklingenden “Aria” variiert, hörte man in Hewitts Spiel immer wieder überraschende Bruchstücke davon auftauchen. Manchmal huschte dann ein Lächeln über das konzentrierte Gesicht. Oder ein leichtes Kopfnicken begleitete die energievollen Hände ins weiträumige Spiel, welches schieres Glück beim Zuhörer erzeugte.”