Bach in Cologne

2007-11-15 / Kölner Stadt-Anzeiger / STEFAN RÜTTER

Maskuline Annäherung an Bach

Für Johann Sebastian Bach wäre es wohl eine absonderliche Vorstellung gewesen, dass ein Pianist alle 24 Präludien und Fugen aus dem ersten Band seines „Wohltemperierten Klaviers“ vor einem zahlenden Publikum hintereinander wegspielt. Auch heute noch zieht ein solches Projekt keine Massen an. Selbst Angela Hewitt, eine Bachinterpretin der Weltspitze, konnte dafür in der Philharmonie nur einen sehr überschaubaren Hörerkreis gewinnen – der aber lauschte dem nicht eben leichtgewichtigen polyphonen Geschäft zwei Stunden lang mit größter Aufmerksamkeit und bemerkenswerter bronchialer Disziplin. Das gebietet allein schon der Respekt vor einer Kunst- und Konzentrationsleistung, die durchaus mit einer Zen-Übung vergleichbar ist.

Perfekter Plan

Angela Hewitt hatte das 120 Druckseiten starke Kompendium phänomenal sicher im Kopf; nur dreimal an diesem langen Abend geriet sie kurzzeitig aus der Bahn. Noch eindrucksvoller war die unerschütterliche Konsequenz, mit der sie Themen und Kontrapunkte artikulierte. Hier entfaltete sich ein bis ins letzte Detail durchkonzipierter Interpretationsplan. Angela Hewitt ist unverkennbar eine Bachpianistin der alten Schule. Aus jedem Takt spricht das Bedürfnis nach Maß und Balance, nach Geschmeidigkeit und Wohlklang. Die Kanadierin zeigt Mut zu ausgedehnten Ritardandi, die harmonische Rückungen und Beleuchtungswechsel wirkungsvoll inszenieren. Sie liebt es, den Klavierklang durch eine minimale Asynchronität der Stimmen aufzufächern. Sie verleiht Themeneinsätzen im Bass gern ein gewisses maskulines Pathos und lässt die großen Doppelfugen stets mit feierlicher Emphase ausklingen.

All das sind Relikte einer romantischen Bachtradition, die Angela Hewitt gezielt nutzt, ohne sich ihnen auszuliefern. Ihr Spiel ist nämlich zugleich in hohem Maße historisch reflektiert, wahrt stets eine lichte Transparenz der Stimmen und verzichtet fast vollständig auf Pedalwirkungen. Das fiel besonders bei den akkordisch geprägten Präludien in es- und b-Moll auf, die Angela Hewitt im Klang weitgehend austrocknete, um sie vor der falschen Anmutung romantischer Charakterstücke zu bewahren. Reicher Applaus für einen großen Abend.